
75 Jahre GCJZ München
Unsere Gesellschaft
Präambel
Die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit München Oberbayern e.V. ist nach der Befreiung vom nationalsozialistischen Unrechtsstaat entstanden. Sie weiß von der historischen Schuld und stellt sich der bleibenden Verantwortung angesichts der in Deutschland und Europa von Deutschen und in deutschem Namen betriebenen Vernichtung jüdischen Lebens.
Begründet in der biblischen Tradition folgt sie der Überzeugung, dass im politischen und religiösen Leben eine Orientierung nötig ist, die ernst macht mit der Verwirklichung der Rechte aller Menschen auf Leben und Freiheit ohne Unterschied des Glaubens, der Herkunft oder des Geschlechts.
Sie setzt sich ein für die
- Verständigung und Zusammenarbeit zwischen Christen und Juden bei gegenseitiger Achtung aller Unterschiede,
- Erinnerung an die Ursprünge und Zusammenhänge von Judentum und Christentum,
- Selbstbesinnung in den christlichen Kirchen hinsichtlich der in ihnen theologisch begründeten und geschichtlich verbreiteten Judenverachtung und Judenfeindschaft,
- Bewahrung der noch erhaltenen, vielfältigen Zeugnisse jüdischer Geschichte,
- Entfaltung und Förderung freien, ungehinderten jüdischen Lebens in Deutschland,
- Achtung der Eigenständigkeit ethnischer Minderheiten,
- Solidarität mit dem Staat Israel als jüdische Heimstätte.
Sie wendet sich gegen
- alle Formen der Judenfeindschaft: religiösen Antijudaismus, rassistischen und politischen Antisemitismus sowie Antizionismus,
- jede Form von Extremismus und Menschenverachtung,
- Rassismus und Diskriminierung von einzelnen und Gruppen aus religiösen, weltanschaulichen, politischen, sozialen und ethnischen Gründen,
- Intoleranz und Fanatismus.
Die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit ist offen für alle, die für diese Ziele eintreten. Zur Verwirklichung ihrer Ziele beteiligt sie sich an der allgemeinen Erziehungs-, Bildungs- und Jugendarbeit. Sie ist bereit zur Zusammenarbeit mit Gruppen und Parteien, privaten und öffentlichen Einrichtungen, die sich ähnlichen Aufgaben verpflichtet haben.
Gründungsversammlung GCJZ im Jahre 1948
75 Jahre jüdisch-christlicher Dialog in München
Die Pionier:innen des Dialogs
Der erste jüdische Vorsitzende war der Kinderarzt Dr. Julius Spanier, der mit seiner Frau Zippora das Lager Theresienstadt überlebt hatte und zugleich Gründungspräsident der Israelitischen Kultusgemeinde München nach dem Krieg war. Weitere jüdische Wegbereiter:innen des Dialogs waren die Dichterin Gerty Spies, die ebenfalls Theresienstadt überlebte, der Bankier Edmund Jonas und der Journalist und Publizist Hans Lamm oder später Henny Seidemann. Es verdient Hochachtung und Bewunderung, dass es Jüdinnen und Juden trotz erfahrener Demütigungen, Entrechtung und Verfolgung gewagt haben, die Hand der Versöhnung und des Dialogs zu reichen.
Erster kath. Vorsitzender wurde der damalige OB Karl Scharnagl. Sein Nachfolger wurde Stadtschulrat Dr. Anton Fingerle, der zu einem der bedeutendsten Pioniere des christlich-jüdischen Dialogs in München und darüber hinaus in der Nachkriegszeit wurde. Auf katholischer Seite waren auch Menschen aktiv, die im Widerstand waren wie der Münchner Stadtpfarrer Emil Joseph Muhler oder der spätere kath. Vorsitzende Prälat Michael Höck, die beide im Priesterblock des KZ Dachau interniert waren. Höck wurde unter Kardinal Döpfner der erste Ökumenereferent der Erzdiözese.
Auf evangelischer Seite waren in den ersten Jahren nach der Gründung Dr. Ernst Lichtenstein und Dekan Friedrich Langenfaß prägende Figuren. Lichtenstein, der einen jüdischen Großvater hatte, war promovierter und habilitierter Pädagoge. Seine Frau war im Frauenausschuss der Gesellschaft führend tätig. Der evangelische Theologe Langenfaß war Gründungsmitglied der GCJZ und trat häufig als Redner für die Gesellschaft auf.
Die „Woche der Brüderlichkeit“ seit 1951
Von Anfang an war die Bekämpfung des Antisemitismus, aber auch andere Formen des Rassismus, eines der primären Ziele der GCJZ. Dieses Ziel sollte durch schulische und betriebliche Bildung sowie allgemeine Erwachsenenbildung und konkrete Begegnung der Menschen untereinander erreicht werden. Dazu diente auch die Einführung der „Woche der Brüderlichkeit“, die in München und anderen bayerischen Städten 1951 erstmals und ab 1952 dann bundesweit durchgeführt wurde. Sie wurde zum Markenkern der GCJZ und des DKR und wird bis heute mit einer bundesweiten Auftaktveranstaltung mit der Verleihung der Buber-Rosenzweig-Medaille in einer gastgebenden Stadt durchgeführt (München war 1963, 1975 und 1998 Ort der bundesweiten Eröffnung).
Die Arbeit mit Multiplikator:innen und Erinnerungsarbeit
Weitere Formate waren jährliche religionspädagogische Fortbildungstagungen, die sich an Pfarrer und Religionslehrkräfte wandten und so über die Jahrzehnte viele Multiplikator:innen erreichten. Ab den 1970er Jahren gehörten dann auch Bildungsreisen zu Synagogen und Gedenkstätten wie auch nach Israel zum festen Programm.
Schon früh gehörte die Erinnerungsarbeit zu den Anliegen der GCJZ, auch wenn dies für geraume Zeit in der Nachkriegsgesellschaft kaum ein Thema war. Bereits 1950 veranstaltete die Münchner GCJZ anlässlich der Reichspogromnacht im November eine Gedenkveranstaltung. Es war der Beginn einer Gedenkkultur in München und darüber hinaus, die bis heute zum Selbstverständnis bundesdeutscher Politik und Zivilgesellschaft gehört. Ende der 1990er Jahre kamen dann die Zeitzeugengespräche hinzu, die die Münchner GCJZ seitdem jährlich in zeitlicher Nähe zum Tag der Opfer das Nationalsozialismus am 27. Januar durchführt. Auch an der kritischen Aufarbeitung der kirchlichen Judenfeindschaft war die GCJZ beteiligt wie im Falle der Wallfahrt zur „Deggendorfer Gnad“, die auf eine mittelalterliche Ritualmordlegende zurückging und Anfang der 1990er Jahre abgeschafft wurde sowie bei der Reform der Oberammergauer Passionsspiele.
Bleibende Aufgaben: Reden – lernen – erinnern
„Reden – lernen – erinnern“ – so lautet das Motto der GCJZ-München. Es ist das Verdienst der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit, wichtige Impulse zur Aufarbeitung der Schoa und die Erinnerung daran in das politische und zivilgesellschaftliche Bewusstsein der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft eingebracht zu haben, ebenso immer wieder Räume eröffnet zu haben für das bessere Kennenlernen des Judentums und des jüdischen Lebens und die persönliche Begegnung von Juden und Christen. Von daher gehört von Anfang an die Zusammenarbeit mit der Israelitischen Kultusgemeinde und seit einigen Jahren auch mit der Liberalen jüdischen Gemeinde Beth Shalom zum festen Kern der GCJZ: Teilnahme an Synagogengottesdiensten, Führungen durch die Synagogen und auf den jüdischen Friedhöfen in München, Kultur- und Bildungsveranstaltungen, gemeinsame Advent-Chanukka-Feiern bieten niedrigschwellige Begegnungsmöglichkeiten.
Die genannten Aufgaben, denen sich die GCJZ widmet, kommen nie an ein Ende, sie bleiben und müssen von Generation zu Generation immer wieder neu angegangen werden, damit sich die Geschichte der Judenfeindschaft nicht perpetuiert und weil die Begegnung mit und das Lernen vom Judentum eine Bereicherung für den christlichen Glauben darstellt.
Dr. Andreas Renz