Stellungnahme der GcjZ Kassel zur Antisemitismusdebatte auf der Documenta Fifteen
Die GCJZ Kassel hat eine Stellungnahme zur Antisemitismusdebatte auf der Documenta Fifteen verfasst.
Die GCJZ-München schließt sich dieser Positionierung an und unterstützt Bemühungen, die den notwendigen Diskurs über Antisemitismus in der Kunst auf internationaler Ebene in Gang setzen.
Stellungnahme der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Kassel zur Antisemitismusdebatte auf der documenta fifteen
Mit zunehmendem Befremden verfolgen wir als Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit die Debatte um Israelkritik und Antisemitismus auf der documenta fifteen.
Dass das Kuratorenteam Ruangrupa aus Indonesien die Perspektive des globalen Südens, des Teilens von Ressourcen und den Gedanken des gemeinschaftlichen Produzierens auch von Kunst für die Herausforderungen unserer Zeit stark machen will, haben wir mit großer Neugier und Spannung erwartet. Dass in diesem Zusammenhang auch ein palästinensisches Künstlerkollektiv auf der documenta vertreten sein würde, erschien uns verständlich, auch wenn wir die Nähe des Künstlerkollektivs „The Question of Funding“ zur israelkritischen Kampagne „Boykott, Desinvestment und Sanctions“ (BDS) mit Sorge beobachteten. Denn die Grenzen zwischen legitimer Kritik an der Regierungspolitik Israels und der Bestreitung des Existenzrechts Israels verschwimmen bekanntlich bei der BDS-Bewegung. Bereits in dieser am Anfang des Jahres geführten Debatte hätten wir vonseiten der documenta- Leitung und des Kuratorenteams eine Positionierung erwartet, die klarstellt, dass das Existenzrecht Israels bei aller künstlerischen Freiheit unverhandelbar ist. Um hier einen offenen Diskurs zu fördern, wäre die Einladung jüdischer israelischer Künstler*innen durchaus angemessen gewesen. Dass die von der documenta geplante Gesprächsreihe „We need to talk“ abgesagt wurde, bedauern wir zutiefst. Hier wäre eine direkte Diskussion zwischen Vertretern des globalen Südens, der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland und Israels möglich gewesen und hätte u.E. zu einer Sensibilisierung des kuratorischen Teams für den spezifisch deutschen historischen Kontext von Antisemitismus bis in die bundesdeutsche Gegenwart führen können.
Dies ist jedoch fatalerweise nicht geschehen. Und es scheint der Blindheit gegenüber dem tiefsitzenden Antisemitismus in der indonesischen Gesellschaft geschuldet zu sein, dass das indonesische Kuratorenteam mit offensichtlicher Billigung der documenta-Leitung am Tage der Eröffnung ein riesiges Banner mit antisemitischer Propaganda des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi aufstellen ließ – und zwar im Herzen der documenta-Stadt, auf dem Friedrichsplatz. Ganz im Stile des Stürmers erscheint hier die Karikatur eines Juden mit tierähnlichem Gesicht, Schläfenlocken, gefletschten Reißzähnen, Zigarre und gespaltener Zunge. Auf dem Hut erscheinen die Runen der SS: die Opfer der Nationalsozialisten werden damit selber zu Nazis erklärt – ein Klischeebild des modernen Antisemitismus. Desweiteren sieht man auf dem Wimmelbild eine Truppe schwer bewaffneter Soldaten, die über menschliche Knochen marschieren. Einer von ihnen – mit dem Gesicht eines Schweines – trägt ein rotes Halstuch mit Davidsstern. Auf seinem Helm steht „Mossad“, das den israelischen Auslandsgeheimdienst bezeichnet.
Wir sind entsetzt darüber, dass 77 Jahre nach der Shoah auf dem Friedrichsplatz in Kassel, wo 1933 die Bücherverbrennung der Nazis stattfand, ein solch antisemitisches Zerrbild aufgestellt werden konnte. Ein Zerrbild, das alle antijüdischen Klischees bedient: Die Juden als entmenschlichte Vertreter des angeblich ausbeuterischen, kapitalistischen Weltjudentums und der angeblichen jüdischen Weltverschwörung – und das zudem in verkehrter Weise die Israelis als die Nazis von heute darstellt.
Aufgrund des medialen Protestes wurde das inkriminierte Banner auf dem Friedrichsplatz inzwischen
abgebaut.
Es ist jedoch leider festzustellen, dass sich neben dem inkriminierten Banner auf dem Friedrichsplatz weitere antisemitische Werke auf der documenta fifteen befinden: Mohammed al Hawarij, der dem künstlerischen Kollektiv „The Question of Funding“ angehört, stellt eine Serie von Collagen mit dem Titel „Guernica Gaza“ aus, in der Werke u.a. von van Gogh, Chagall oder Millet umgearbeitet werden.
In ein Gemälde von van Gogh, auf dem im Vordergrund Bauern zu sehen sind, werden im Hintergrund brennende Häuser in Gaza hinein montiert. Auf dem Bild „Die Erntearbeiter“ von Jean- Francois Millet werden friedlich rastende Menschen in Bethlehem, die im Original übrigens Juden sind, von schwer bewaffneten israelischen Soldaten ins Visier genommen. In diesen Collagen wird die brutale Bombardierung der Stadt Guernica durch Hitlers Legion Condor mit der israelischen Armee und mit der Situation in Gaza verglichen. In Umkehrung der historischen Tatsachen werden auch hier Juden als die neuen Nazis dargestellt. Antisemitismus ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit und muss weltweit geächtet werden.
Das gilt auch für Indonesien und insbesondere für eine weltweit beachtete Kunstausstellung. Die eindeutige Absage an alle Formen des Antisemitismus stellt die Freiheit der Kunst nicht in Frage und muss Teil des postkolonialen Diskurses werden.
Kassel, 24.Juni 202
Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Kassel e.V.
www.cjz-kassel.de